Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod.
Hoheslied 8, 6a
Der Vers für den Sommermonat Juni führt uns in das mit Abstand erotischste Buch des Alten Testaments und der ganzen christlichen Bibel: das Hohelied der Liebe, eine Sammlung knisternder Liebesgedichte. Sie zeichnen das Bild einer Liebe zwischen Frau und Mann, die sinnlich und stürmisch, leidenschaftlich und hingebungsvoll, dann wieder zurückhaltend und zärtlich und in all dem rundum beglückend ist. Wer das Buch einmal an einem Stück liest – und das muss man tun, um diesen Vers richtig einzuordnen –, folgt den Liebenden auf Felder und unter Granatapfelbäume; wird Zeuge, wie sich der Mann an der begehrenswerten Schönheit seiner Freundin und die Frau an der imponierenden Gestalt ihres Freundes ergötzt.
Wer auch immer diese Texte geschrieben hat: Er oder sie wollte nichts von der Unterscheidung zwischen einer göttlichen Liebe, einer Zuneigung unter Freunden und der erotisch-begehrenden Liebe wissen. Die Verfasserin kannte die Liebe. Eine Kraft, die Zuneigung und Hingabe für einen anderen genauso umfasst wie die unbefangene Freude an der Sexualität. Diese Liebe ist stark wie der Tod, ein schützendes Siegel auf dem Lebensweg. Diese Liebe, die Mann und Frau so wunderbar umfassend vereinigt, ist eine Flamme des Herrn (Vers 6b) – also eine göttliche Kraft. Dadurch wird sie zu einer Erfahrung, in der das menschliche Leben durchsichtig wird für den Einfallsreichtum und die Schönheit des Schöpfers. Deshalb sind diese Texte nicht in einer altorientalischen Gedichtsammlung gelandet, sondern Teil des biblischen Kanons und somit Heilige Schrift geworden. Sie laden uns ein diese Liebe neu zu suchen, zu bewahren, um sie zu ringen, sie zu ehren und zu genießen; in ihr und durch sie dem schöpferischen Grund unseres Lebens ansichtig zu werden; und dem Schöpfer zu danken, dass er uns mit solcher Lebenskraft beschenkt.
Ja, ich weiß, die Liebe ist eine Flamme, die in den Händen von Menschen großen Schaden anrichten kann. Ja, ich weiß ebenfalls, dass es noch ganz anderes über die Liebe zu sagen gibt. Aber das wäre eine andere Andacht.
Deshalb: Nutzen wir doch den Sommermonat Juni, um die im Lied der Lieder beschriebene Liebe zu hegen und zu pflegen und uns an ihr zu freuen.
Prof. Dr. Oliver Pilnei
Theologische Hochschule Elstal