Jesus Christus spricht: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet.
Matthäus 5, 44-45
Diese kurze Andacht wird nicht die Frage beantworten, wie der Krieg in der Ukraine zu einem Ende kommen und wieder Frieden werden kann. Ich werde dir, liebe Leserin und lieber Leser, auch nicht sagen, was du angesichts von Unfrieden und Gewalt zu tun und zu lassen hast. Und ich werde dich nicht mit lebenspraktischen Beispielen aus deinem Alltag abholen. Heute geht vielmehr darum, dass du ein Wort Jesu in deinen Alltag hineinlässt. Nimm dir zehn Minuten Zeit, nimm eine Bibel zur Hand und lies die Textstellen, von denen hier die Rede ist, lies vielleicht auch ein paar Verse davor und danach.
Wir nähern uns dem Monatsspruch auf einem kleinen Umweg. Rabbi Hillel der Alte, der der Überlieferung nach eine Generation vor Jesus lebte, lehrte: „Sei von den Jüngern Aarons, Frieden liebend und dem Frieden nachjagend.“ Dass Aaron, der Ahnherr des Priesteradels, Jünger oder Schüler hatte, steht gar nicht in der Bibel, und es gibt eigentlich auch keine biblische Geschichte, in der er als Friedensstifter auftritt. Hillel will, so scheint mir, vielmehr sagen: Es kommt nicht darauf an, von vornehmer Abstammung zu sein, sondern: wer friedfertig ist, der ist von wahrhaft edler Art, so edel wie Aaron. In Hillels Ausspruch steckt ferner eine Anspielung auf Ps. 34,15: „Suche Frieden und jage ihm nach.“ Das Psalmwort wird auch im Neuen Testament zweimal zitiert, nämlich im Hebräerbrief (12,14) und im Ersten Petrusbrief (3,11). Auffällig ist, dass der Friede hier als etwas Flüchtiges beschrieben wird, das zu entwischen droht, wenn man ihm nicht aktiv hinterherläuft.
Ähnliche Gedankengänge finden sich in der Bergpredigt Jesu. In den Seligpreisungen heißt es (Mt 5,9): „Selig die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.“ Wieder geht es darum, dass Friede etwas ist, das aktives Handeln erfordert, das nicht durch passives Aussitzen erreicht wird. „Söhne Gottes“ ist noch weitaus kühner als die Formulierung „Jünger Aarons“, die Hillel gebraucht hatte. Von wem aber werden die Friedensstifter „Söhne Gottes“ genannt werden? Anscheinend von Gott selbst, denn Jesus verwendet nach der Sitte seiner Zeit häufig das Passiv, wenn er von Gott als dem Handelnden spricht. Warum aber „Söhne“ und nicht auch „Töchter“? Auch die Frauen sind gemeint. Wieder ist es die Ausdrucksweise der Zeit. Damals sprach man von einer Gruppe von Menschen, zu der sowohl Frauen als auch Männer gehören, im Maskulinum Plural, und so haben wir es ja auch im Deutschen bislang meist getan. Die Lutherbibel 2017 will es besser machen und übersetzt inklusiv „Kinder Gottes“.
Aber das könnte zu falschen Assoziationen führen. Es gibt fromme Erwachsene, die meinen, als Christin oder Christ dürfe oder solle man wieder so einfältig werden wie ein kleines Kind. Das wäre manchmal ja auch ganz bequem, denn ein Kind trägt keine Verantwortung für sein Handeln. Das ist aber im Text nicht gemeint. Es geht hier nicht um kleine Kinder, sondern um erwachsene Söhne und Töchter. „Söhne“ ist so zu verstehen, dass diejenigen, die Frieden tun, mit ihrem Handeln dem Wesen, der Art Gottes entsprechen, dass sie Anteil an Gott haben. Entsprechend redet unser Herr von „Söhnen des Königreichs“ (Mt 8,12), „Söhnen der Auferstehung“ (Mt 20,36), „Söhnen des Friedens“ (Lk 10,6) und „Söhnen des Lichts“ (Lk 16,8). Es geht bei dieser Redeweise also nicht um eine emotional aufgeladene Vater-Kind-Beziehung, sondern um Anteil an, oder Entsprechung mit, einer Eigenschaft oder Wesensart.
Das Friedenshandeln, zu dem Jesus seine Schülerinnen und Schüler anleitet, hat seine Begründung im Wesen Gottes und nicht in der strategischen Aussicht auf Erfolg. Dieser mag sich zwar zuweilen einstellen, etwa in einfachen Alltagskonflikten, wenn wir boshaftes Verhalten nicht mit gleicher Münze heimzahlen und dadurch unser Gegenüber entwaffnen. Aber in dem Abschnitt, in dem unser Monatsspruch steht, werden Situationen geschildert, die schon aus dem Ruder laufen: Da erleidet jemand grobes Unrecht und will immer noch den Frieden, lässt sich nicht verleiten zu Hass und Rache, obwohl das nach menschlichen Maßstäben völlig gerechtfertigt wäre.
Wie gesagt, es gibt wohl keine einfache Antwort auf die Frage, wie wieder Friede werden kann angesichts der gegenwärtigen militärischen Konflikte. Für heute mag es genügen, dass wir mit der Sehnsucht nach einem Leben gemäß dem Wesen Gottes in den Alltag gehen, denn „Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“ (1Joh 4,16).
Martin Rothkegel
Theologische Hochschule Elstal