Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.
Römer 14, 9
Diese bedeutungsschwere Aussage des Apostels Paulus hat einen erstaunlich alltäglichen Anlass: Streit und Spaltung in der römischen Gemeinde. Der Zusammenhang des Verses zeichnet ein deutliches Bild: In der römischen Gemeinde sieht man die Dinge unterschiedlich. Die einen haben ein weiteres Gewissen, was das Essen von bestimmten Speisen angeht; die anderen ein engeres. Und das ist so ein großes Problem, dass der Apostel mit seinem berühmten Brief darauf eingehen muss. Es ist beruhigend und beunruhigend zugleich, dass schon die ersten Christenmenschen mit Spaltungen und Streitereien gelebt haben. Sicher, die Themen haben sich verändert: Speisevorschriften stehen heute nicht mehr so im Mittelpunkt (wobei die Frage nach dem Fleisch-Essen gerade wieder in neuer Form auflebt), aber die Fragen nach Musikstil, Gemeindeausrichtung und – spätestens seit den Corona-Maßnahmen – auch gesellschaftlich-politische Überzeugungen führen immer wieder neu zu Trennung und Gruppenbildung in der christlichen Gemeinde.
In diese Situation spricht Paulus eine tiefgreifende Wahrheit des christlichen Glaubens hinein; viel tiefgreifender als die Problemlage in Rom, und doch mit Relevanz für die Alltagsprobleme der Gemeinde: Der gestorbene und wieder lebendig gewordene Herr ist der Herr über die Lebenden und Toten, also über zwei Gruppen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Dagegen sind die Unterschiede innerhalb der römischen Gemeinde ein Leichtgewicht. Denn Lebende und Tote trennt mehr als nur eine Meinungsverschiedenheit über Speisevorschriften und andere trennende Ansichten. Sie trennt die scheinbar unüberbrückbare Grenze zwischen Leben und Tod! Aber selbst diese scheinbar unüberbrückbare Grenze kann Jesus Christus nicht aufhalten, auch diese Gruppen zu vereinen, indem er ihr einer Herr ist. Also, liebe Gemeinde in Rom, können auch die Grenzen zwischen euch Jesus Christus nicht daran hindern, euer einer Herr zu sein, in allem Streit und aller Spaltung! Derjenige, der durch sein Sterben am Kreuz und durch sein Auferstehen am Ostermorgen die Extreme des menschlichen Daseins in seiner Herrschaft vereint, Leben und Tod, der vereint unter seiner Herrschaft auch die Extreme eurer Ansichten, Meinungen und Spaltungen. Der evangelische Theologe Otto Michel (1903-1993) bringt es in seinem Römerbriefkommentar auf den Punkt: „Der Herr der Toten und der Lebenden vermag auch Herr über die verschiedenen Gruppen in der römischen Gemeinde zu sein.“
Diese Botschaft bewegt mich in Zeiten, in denen Spaltungen innerhalb und außerhalb der christlichen Gemeinde sehr präsent sind (ob es wirklich mehr Spaltungen als in anderen Zeiten sind, darüber habe ich meine Zweifel). Und gewiss wird es uns nicht vollends gelingen, Spaltungen und unterschiedliche Ansichten aufzulösen. Da bleibt es umso wichtiger, gemeinsam immer wieder den Blick auf den zu richten, der uns über alle Grenzen und Spaltungen und unterschiedlichen Ansichten hinweg unter seiner Herrschaft vereint: den gestorbenen und wieder lebendig gewordenen Jesus Christus.
Pastor Dr. Maximilian Zimmermann
Professor für Systematische Theologie an der Theologischen Hochschule Elstal